Sofia Fagioli
© Alice Blangero Sofia Fagioli wurde in Cesena geboren und erhielt ihre Tanzausbildung am Lyceum Danza Studio 524 in ihrer Heimatstadt sowie von 2019 bis 2024 an der Dance Arts Faculty (DAF) unter der Leitung von Mauro Astolfi in Rom. In der Saison 2024/25 war sie Teil von Astolfis Produktion Curva. 2025 gewann sie den 2. Preis des Wettbewerbs Certamen Internacional de Coreografia Burgos & New York. Sie gastierte mit der in Houston ansässigen Ishida Dance Company sowie beim Ballett des Theaters Nordhausen. Seit 2025/26 ist sie Mitglied des Staatsballetts Hannover.
Welche künstlerische Zusammenarbeit hat dich besonders geprägt?
Ein Erlebnis, das mir sehr geholfen hat, mich weiterzuentwickeln – sowohl künstlerisch als auch persönlich – war die Zusammenarbeit mit der wunderbaren Anne Jung. Ich habe nur zwei Wochen mit ihr gearbeitet, aber ich bin völlig verändert aus dieser Erfahrung herausgegangen. Ich habe dabei so viel über meine eigene Art, mich zu bewegen, über die Bedeutung von Gewicht und Stabilität gelernt. Anne ist eine bemerkenswerte Künstlerin, die ihre Ideen großartig vermitteln kann, die genau weiß, wie man sein eigenes Gewicht einsetzt, um den Körper zu stützen, zu befreien, anstatt sich nur auf die Muskelkraft zu konzentrieren. Ich habe mich auf die beste Art und Weise herausgefordert gefühlt, was für mich unglaublich hilfreich war, da ich es vorher gewohnt war, hauptsächlich mit Kraft und Geschwindigkeit zu arbeiten. Durch Anne habe ich gelernt, Geschwindigkeit aus einer anderen Perspektive zu betrachten, neue Inputs zu nutzen und dem Körper zu erlauben, sich freier zu bewegen.
Hast du ein besonderes Ritual, bevor du auf die Bühne gehst?
Bevor ich auf die Bühne gehe, ist es mein Lieblingsritual, meine Kolleginnen und Kollegen zu umarmen und gemeinsam zu atmen. Ich habe das immer als eine kraftvolle Art und Weise empfunden, Energie zu teilen, was ich für sehr wichtig halte. Es ist, als würde man sagen: „Lasst es uns gemeinsam rocken!“ Selbst wenn man allein auf der Bühne steht, gibt es hinter den Kulissen Leute, die einen unterstützen, deren Energie man spüren kann, ohne sie selbst in dem Moment zu sehen. Im Allgemeinen hilft es mir auch, ein paar tiefe Atemzüge mit geschlossenen Augen zu machen, um mich auf das Stück zu konzentrieren, in die Rolle hinein zu kommen und die Energie kraftvoll zu bündeln. Dann öffne ich die Augen, mache ein paar Sprünge – und schon kann es losgehen.
Welche Figur aus der Ballett-Geschichte würdest du gerne mal auf einen Kaffee treffen – und warum?
Ehrlich gesagt, ich wüsste nicht, wen ich auswählen sollte. So viele Künstler haben die Geschichte des Tanzes geprägt, jeder auf seine eigene Weise: durch Kraft, Freiheit oder die Fähigkeit, Herzen ohne Worte zu bewegen. Vielleicht würde ich lieber mit einem unbekannten Tänzer aus der Vergangenheit einen Kaffee trinken als mit einer berühmten Persönlichkeit. Ich würde fragen, wie es sich anfühlte, zu der Zeit zu tanzen, in der die Person gelebt hat, welche Träume sie auf die Bühne bringen wollten und wie sie durch die Bewegung ihren Sinn in dem Ganzen gefunden haben.
Welche Reaktion nach einer Aufführung haben dich am meisten gefreut?
Um ehrlich zu sein, bin ich jedes Mal, wenn ich die Bühne betrete und den Applaus am Ende eines Auftritts höre, zutiefst glücklich und dankbar für das, was ich tue und für die Möglichkeit, es tun zu dürfen. Aber es gibt vor allem zwei Erinnerungen, die ich nie vergessen werde: Die erste mag simpel klingen, aber sie bedeutete mir alles auf der Welt. Nach einer kleinen Produktion zum Jahresende in meiner örtlichen Tanzschule (nichts Professionelles) kam ich von der Bühne – und sah meinen Vater mit Tränen im Gesicht. In seinen Augen konnte ich echten Stolz erkennen, den ich bei ihm nie zuvor gespürt hatte. Dieser Moment hat mich unglaublich glücklich gemacht. Die zweite Erinnerung betrifft den 10. Januar 2025, ein Tag, den ich nicht vergessen werde. Es war der Abend meiner allerersten Premiere. Bis dahin war ich nur als Studentin oder anderweitig im Rahmen meines Studiums aufgetreten, aber dieser Abend war anders. Es war mein erster richtiger Auftritt in einem professionellen Rahmen. Und mitten im Applaus, als ich auf der Bühne stand, dachte ich: „Verdammt, das will ich für den Rest meines Lebens machen!“ Ich hatte Tränen in den Augen. Das war ein großartiges Gefühl.
Welche Musik hörst du, wenn du nicht arbeitest?
Ich liebe Reggaeton! Diese Musik könnte ich rund um die Uhr hören. Sie gibt mir einen unglaublichen Energieschub und hält mich wach. Vielleicht liegt es daran, dass dieser Musikstil sich so weit von der Musik entfernt anfühlt, die wir oft im Studio oder auf der Bühne hören – so strukturiert und emotional intensiv. Reggaeton dagegen ist lebendig, macht einfach nur Spaß und wirkt sofort aufbauend. Jedes Mal, wenn ich Reggaeton höre, muss ich lächeln. Jeden Morgen setze ich meine Kopfhörer auf, starte meine Lieblingsplaylist und gehe zur Tür hinaus, bereit, den Tag zu beginnen. Diese Musik gibt den Ton an für mein Training und hilft mir, mit einer positiven Einstellung durch meinen Tag zu gehen. Außerhalb der Arbeit geht es bei Musik für mich um Freude und Entspannung. Reggaeton macht genau das – er bringt mich dazu, mich zu bewegen, zu tanzen und einfach den Moment zu genießen, ohne zu viel nachzudenken.
Welche Rolle kann Tanz in unserer Zeit spielen?
Ich glaube, dass der Tanz in der heutigen Welt eine wichtige Rolle spielen kann. Jetzt, wo künstliche Intelligenz immer wichtig wird, sehen wir auch einen Wandel in allen Kunstsparen. Und das kann beunruhigend sein. Die Technik ist zunehmend in der Lage, vieles zu reproduzieren, was Künstlerinnen und Künstler zuvor noch allein erschaffen haben. Aber Tanz ist anders. Tanz ist zutiefst menschlich. Man kann die menschliche Berührung, den Blick, den Atem oder das emotionale Gewicht, das ein lebendiger, sich bewegender Körper mit sich bringen, einfach nicht ersetzen. Keine Maschine kann die Präsenz tanzender Menschen auf der Bühne, die Art und Weise, wie die Bewegung auf das Publikum wirkt, die Zerbrechlichkeit und die Kraft eines Körpers, der etwas ausdrückt, das jenseits der Sprache liegt, wirklich nachahmen. Tanz erinnert uns an unsere Menschlichkeit. Tanz verbindet uns auf einer körperlichen und emotionalen Ebene miteinander, die über Sprache und Logik hinausgeht. In einer Zeit, in der so vieles im Leben virtuell oder automatisiert ist, steht der Tanz für einen rohen, ungefilterten Ausdruck des Lebens. Und das ist etwas, was – so glaube ich – unersetzbar bleiben wird.